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Die Ich-AG im Großkonzern

REST DER WELT / GRAZ / DON CARLOS

21/12/11 Im ledergepolsterten Chefsessel amtiert König Philipp, im holzgetäfelten Büro, allgewaltiger Manager des Superkonzerns „Spanisches Habsburgerreich“. Dass die Luft dort oben dünn ist, dass man sich der Vertrauten und der Einflüsterer nicht sicher sein kann, das weiß Philipp. Der grimmige Blick und die entschlossen zusammengebissenen Zähne sind routinemäßige Chef-Mimik geworden.

Von Reinhard Kriechbaum

altSchillers „Don Carlos“ im Grazer Schauspielhaus, in der Regie von Ingo Berk: Von literarischer Weltverbesserungsgröße, vom flammenden Bekenntnis zur Aufklärung wollte sich der Regisseur laut Programmheft-Interview nicht kleinkriegen lassen, und er hat es auch nicht. Hehres polit-rebellisches Gedankengut auf der Folie einer vom Hof aufgegriffenen und mitgelenkten Familien-Kabale – da hat sich altIngo Berk im Zweifelsfall für letzteres entschieden. Ihn interessiert primär die Feinmechanik im Zusammenspiel der Figuren. Das kann man nun als Manko sehen: Der große Ruf nach Gedankenfreiheit verpufft zwischen den dunkel-düsteren Panneelwänden. Oder als ein Plus: Im Laufe des keineswegs kurzen, aber schnell vergehenden Abends hat man es mit vielen sehr aufmerksam durchgezeichneten Charakteren zu tun, mit Leuten, denen nichts Menschliches fremd ist. Rachegelüste und Ehrgeiz schon gar nicht, lustvoll ausgelebt in Dauerintrigen gegeneinander.

Dieser intensiv nachzuerlebende  „Don Carlos“ ist also Familien- und Chefbürogeschichte weit mehr als überzeitliche Utopie für eine bessere Welt. Deshalb auch keine Anspielungen, nicht auf Neoliberalismus und nicht auf den Fall von Despoten in der arabischen Welt. Man bleibt in der Chefetage – und man bleibt (fast altmodisch) bei Schillers Blankversen. Ja, so textgetreu, natürlich mit Strichen, kann man sogar heute an einem „Klassiker“ bleiben.

altGerhard Balluch wirkt als König wie Helmut Kohl in der Endphase als deutscher Bundeskanzler, eine fast ver-denkmalte Autorität. Die Fäden, die er so fest in Händen hält, sind aber schon recht dünn. Birgit Stöger ist seine selbstbewusst-moderne Gattin Elisabeth, die aus einer anderen, freieren Welt hereingeschneit ist. Kein Wunder, dass sich Don Carlos seit je her und noch immer zu ihr hingezogen fühlt. Diesem Don Carlos gibt Claudius Körber die schmächtige Gestalt eines hyperaktiven Schwärmers, mit deutlichem Hang zur Weldfremdheit. Sophie Hottinger als Eboli ist wohl seelisch deformiert worden im leibfeindlichen Klima am erzkonservativen spanischen Hof. Ihr Versuch, Don Carlos herumzukriegen, hat schon etwas pathologisch Verzweifeltes an sich. Stefan Suske sagt mit schneidender Stimme, was (seine) Sache ist, Franz Solar als Beichtvater Domingo ist ein etwas leiserer Intrigant. Marquis von Posa hielte man – hätte man „Don Carlos“ nicht schon in der Schule gelesen und auf der Bühne gesehen – taxfrei für einen ur-gefährlichen Freundes-Verräter. Zuletzt holt man den Großinquisitor (Otto David) per Lift aus dem Keller: Es hat etwas berührend Tragisches, wie Philipp und der Großinquisitor einander gegenüberstehen, verbündete im Geiste, aber jeder im Grunde einsichtig, dass die Zeit für solchen Geist um ist.

Das Bühnenbild von Damian Hitz: Mehrere Räume auf der Drehbühne, alle gleich dunkel getäfelt, dazwischen Gänge. Wenn sich die Bühne dreht, sieht man all die Protagonisten einsam stehen oder sitzen, ihre Isoliertheit wird griffig: Jeder und jede führen einen Kampf als Ich-AG im Großkonzern.

Aufführungen bis 10. Februar 2012 - www.theater-graz.at/schauspielhaus
Bilder: Bühnen Graz / Lupi Spuma

 

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