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Gefährlichen Liebschaften auf der Kunst-Spur

REST DER WELT / GRAZ / STEIRISCHER HERBST

19/09/13 „24 % Sprache, 25 % Roboter, 51 % Wunderkammer“. Das Signet in kreisrunder Stempelform ist unterdessen so etwas wie das Markenzeichen beim Steirischen Herbst. Mit den blumigen Hinweisen weiß man, woran man ist. Glaubt es jedenfalls zu wissen. In dem Fall gelten die Angaben für „H, an incident“.

Von Reinhard Kriechbaum

031Die „Two Dogs Company“ des belgischen Theatermachers und Bildkünstlers Kris Verdonk zeigt diese Produktion erstmals im deutschen Sprachraum, an diesem Wochenende (20./21.9.) in der Grazer Helmut-List-Halle zum Auftakt des dreiwöchigen Festivals. Es geht um kafkaeske Texte von dem russischen Dichter Daniil Harms/Charms (1905-1942): Stalinismus, gefiltert durch Absurdität und Slapstick. Der Dichter hat schwer gelitten unter den politischen Verhältnissen, ist mehrfach inhaftiert worden und schließlich in einer Irrenanstalt verhungert. Kris Verdonck hat eine literarisch/musikalische Bühnen-Phantasmagorie aus Tänzern und Robotern erdacht.

Nicht minder grenzgängerisch im künstlerischen Ausdruck ist wohl eine weitere Uraufführung am ersten „Herbst“-Wochenende: Anne Jure, Mitbegründerin der Wiener Tanz- und Kunstbewegung, bezieht sich in „Happy End“ auf die letzte große Installation, die der Künstler Martin Kippenberger vor seinem Tod schuf: Sie fußt auf Kafkas Romanfragment „Amerika“.

032Und noch eine Uraufführung morgen Freitag (20.9.): „Economic Theory for Dummies“ heißt ein Stück von und mit dem Norweger Amund Sjølie Sveen: Finanzkrise in einer hoch komplexen Welt? Sveen versucht, einfache Fragen zu stellen, die an die Substanz dessen gehen, was wir eigentlich für selbstverständlich halten: Warum gibt es überhaupt Geld in der Welt? Warum sollte Wachstum wichtig sein? Amund Sjølie Sveen bietet also einen Crash-Kurs in Sachen Ökonomie an. Performance Lectures sind seine Spezialität, er zieht dabei alle Register multimedialer Präsentationskunst. Sogar die Musikinstrumente, die er dazu spielt, sind eigens auf das Thema (ab-)gestimmt.

Wie passt das alles inhaltlich zusammen? „Liaisons dangereuses“ hat die Herbst-Chefin Veronica Kaup-Hasler heuer als Thema gewählt und macht tatsächlich ernst mit Querverbindungen: Eine Programmschiene im Ex-Zollamt sind zum Beispiel „One Night Stands“ (im Logo: „100 % Überrschung“). Jeweils zwei Künstler und Künstlergruppen treffen aufeinander, die Rabtaldirndln auf die New Yorker Performerin Ann Liv Young (28.9.). Oder gleich an diesem Samstag, am Eröffnungswochenende, „monochrom“ auf „Lord Jim Lodge“.

Aber die „Liaisons“ sind natürlich nicht nur als solche zwischen Künstlern gemeint. Es gehe um Allianzen, Mesallianzen und nicht zuletzt um falsche Freunde, erklärt Veronica Kaup-Hasler. Was also passiert nach dem emotionalen und kollektiven Höhepunkt der Revolte, wenn es darum geht, Zukunft konkret neu zu ordnen? Da wird also die Revolution abgelöst von einem Prozess der Verhandlung unterschiedlichster gesellschaftlicher Interessen. "Was müssen wir zuerst retten, wenn auf allen Terrains Liaisons dangereuses unentbehrlich sind?"

Wenn man im Herbst-Programm blättert, hat man freilich den Eindruck, dass das Lesen in Tageszeitungen, etwa mit Blick auf Ägypten, zum Thema mehr bringt als die Filterung durch die Kunst. Aber das ist natürlich ein gar böser Vor-Verdacht.

Fast so bezeichnend wie der runde Stempel mit den mehr oder weniger verheißungsvollen inhaltlichen Prozentangaben ist für den Steirischen Herbst das intellektuell etwas aufgebläht wirkende Verwirrspiel im Programmheft: Irgendwie fühlt man sich beim Durchblättern stets außen vor gelassen. Die seit je her (nicht erst in der Intendanz Kaup-Haslers übliche) Strategie beim Steirischen Herbst: Man darf sich als Publikum stolz fühlen dürfen, wenigstens als zahlender Zaungast Aufnahme zu finden in solch elitäre Denk-Zirkel.

„100 Prozent Theorie“: Sage da keiner, er sei falschen Versprechungen aufgesessen. „Liaisons dangereuses“, die „Suche nach emanzipatorischen Alternativen in Zeiten der Ungewissheit“, wird gleich ein ganzes Wochenende (das übernächste) füllen. Damit knüpft man beim Steirischen Herbst in Graz an das vorigjährige Projekt „Truth is concrete – 7 Tage/24-Stunden Marathon Camp zu künstlerischen Strategien in der Politik und politischen Strategien in der Kunst“ an.  Dieser Event aus Lectures und Performances von gleich Dutzenden internationalen Künstlerinnen und Künstlern im Vorjahr fand in der Innenstadt, in der Thalia nahe dem Opernhaus statt.

Diesmal geht man auf die andere – in Graz sagt man manchmal: die falsche – Seite der Mur, weit hinaus in Bahnhofsnähe. Dort gibt es ein altes Zollamtsgebäude, und das wird heuer umfunktioniert zum Kultur- und Begegnungszentrum des Steirischen Herbsts. Nicht nur für diese theoretischen „Liaisons dangereuses“ von 4. bis 6. Oktober, eine Art Künstlersymposion mit Zuschauerbeteiligung.

Steirischer Herbst, von 20.9. bis 13.10. – www.steirischerherbst.at
Bilder: Steirischer Herbst / Silvano Magnone (1); Roland Rauschmeier (1);

 

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