asdf
 

Ahnen im allerbesten Alter

REST DER WELT / GRAZ / IMMER NOCH STURM

14/02/14 Ein Erinnerungs-Tohuwabohu wie auf einem Trödelmarkt. Zwischen Notenpulten stehen ein Leiterwagerl mit Milchkannen, ein Boot, ein Schaukelpferd und noch ein Dutzend Versatzstücke. Eine Kletterübung für Schauspieler und Statisten. Und natürlich sind da die Bank und der Apfelbaum...

Von Reinhard Kriechbaum

046Letztere sind für Peter Handke und sein 2011 bei den Salzburger Festspielen uraufgeführtes Stück „Immer noch Sturm“ Nukleus allen Heimatgedenkens und allen Klagens um den Verlust der slowenischen Sprache. Von der Bank neben dem Apfelbaum: Blick frei ins Jauntal, auf die Heimat der Kärntner Slowenen.

Wir erinnern uns: Auf der Pernerinsel hat Regisseur Dimiter Gotscheff sich wenig geschert um das heftige Rauschen im Handke'schen Blätterwald, sondern primär auf Bildwirkung gesetzt. In Graz (hier inszeniert von Michael Simon) wird der Text entschieden direkter umgesetzt. Handke eins zu eins, mit einer nicht zu leugnenden Tendenz zur Marktschreierei.

„Ich“, des Dichters Alter Ego, schaut fast so aus wie Handke als Junger. Blonde Haarmähne, Intellektuellenbrille, ein Ritter von der schlacksigen Gestalt, der mit unverwüstlich posthumem 68er-Eifer ankämpft gegen die Windmühlenflügel der Selbst- und Vergangenheitsbefragung. „Der einzige, der uns noch träumt“, sagt mit unüberhörbarem Sarkasmus einer der Vorfahren, die da umgehen als heftig Worthülsen spuckende Untote aus der eigenen Familiengeschichte. Vielleicht wäre solcher Sarkasmus ein Weg, Handkes Textflächenmonstrum Herr zu werden. Es fehlt ja nicht an querständigem Denken, auch nicht an feinerer Klinge, die gelegentlich sogar ins eigene Fleisch des Ich-Erzählers sticht.

045Grundsätzlich wäre er auf dem rechten Weg, der deutsche Regisseur und Performer Michael Simon. Er lässt die Darsteller ihre Rollen spielen, setzt ihnen aber auch gerne überdimensionale Köpfe auf, so dass sie wirken wie bizarre Puppen. Manchmal führen die Schauspieler aber auch Statisten. Sie dirigieren und treiben diese dann vor sich her wie lebensgroße Marionetten. Immer wieder werden Rollen getauscht, Führungsfiguren wie spielerisch verwechselt oder gewechselt. Es wird deutlich, dass politisches Denken und Handeln, aber auch individuelles Erinnern nie losgelöst sind von Außeneinflüssen. Wer redet da taxfrei von „Selbstbestimmung“?

Da wären also Fußangeln zuhauf. Immer wieder setzt Michael Simon als sein eigener Bühnenbildner auf Szenen quasi in Prospekttheater-Art. Das soll signalisieren, dass da ein Heimat- und Sprachverwurzelungsstück der hypertrophen Art vorgeführt wird, allemal wert, hinterfragt und durchleuchtet zu werden: Einsilbig die Großeltern. Zwei im Krieg für Hitler gefallene Onkel. Eine Tante, die wie ein weiterer Onkel „in die Wälder“, sprich zu den Partisanen geht. Schließlich die Mutter, die sich „aus Liebe“ eine Nacht lang mit einem deutschen Soldaten eingelassen und jenes „Ich“ zur Welt gebracht hat, das nun einen überlangen Abend, in Graz dreieinviertel Stunden, seine „volksgenetisch“ nicht ganz koschere Herkunft ventiliert.

047Wenn alles so querfeldein geht wie bei den Kärntner Slowenen, wäre dann Sprache nicht der logische und alles entscheidende Haltegriff für Identität? Um die Sprache kreist „Immer noch Sturm“ beständig. Auf viele Dekorationsteile sind slowenische Schlagwörter und Slogans gesprüht. „Naša Zgodovia“, „Naša Domovina“, unsere Geschichte, unsere Heimat – das dürfte auch der junge Herr „Ich“ verstehen, der am meisten davon irritiert ist, dass er selbst die Muttersprache nicht beherrscht. Da wird er sentimental: „Meiner Liebe Kind seid ihr Vorfahren alle, eure Totenköpfe möchte ich streicheln“ sagt er, aber die Vorfahren wehren sich vehement, dass sich der Junge zu sehr als Regisseur der Erinnerung aufspielt. Vom Onkel bekommt „Ich“ einen Rock vom Feiertagsanzug, der „augenblicks zerschleisst“. „I hob kan Vater mehr, i bin a valossnes Kind“ wird er am Ende singen.

Handkes Text ginge tiefer, braucht – außer dringend notwendigem Mut zur Kürzung – auch den Mut, weniger unmittelbar beim Wort genommen zu werden. Es fehlt, Handke in Ehren, ja auch nicht an plakativer Selbstbezogenheit. Daran kranken die letzten Szenen ganz erheblich, wenn „Ich“ quasi im Monolog durch Jahrzehnte der Zeitgeschichte galoppiert.

„Ich“ - das ist in Graz der konzentrationsstarke Christoph Rothenbuchner. Seyneb Saleh ist die blutjunge Mutter, Kaspar Locher, Jan Thümer und Julius Feldmeier sind die Onkel Gregor, Valentin und Benjamin. Birgit Stöger rumort als Ursula, die „Dunkelschwester“ oder „Snežena“, wie sie bei den Partisanen hieß: Sie alle sind sehr jung gezeichnet. Ahnen im allerbesten, juvenilen Alter. Da ließe sich mehr an innerer Spannung herausarbeiten, wenn man die Lautstärke heraus nähme und die Flut an plakativen Spielszenen ein wenig drosselte oder wenigstens kanalisierte.

Aufführungen bis 29. April im Schauspielhaus Graz - http://www.schauspielhaus-graz.com/schauspielhaus/stuecke/stuecke_genau.php?id=17817
Bilder: Schauspielhaus Graz / Lupi Spuma
Zur DrehPunktKultur-Besprechung der Uraufführung 2011
bei den Salzburger Festspielen Haus- und Suppensprache, die vermaledeite …

 

DrehPunktKultur - Die Salzburger Kulturzeitung im Internet ©2014