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Ein Tanz nicht tot zu kriegenden Lebens

152REST DER WELT / GRAZ / DAS BALLHAUS (LE BAL)

17/03/14 Drei Schwingtüren, ein beflissener Kellner. Welche er auch offen hält, das herein tanzende Paar kommt akkurat durch eine der anderen. Das Leben geht eben ein wenig anders im Tanzpalais, aber natürlich ist das Treiben hier nicht losgelöst von der Welt. Die Protagonisten sind Kinder ihrer Zeit und umgekehrt.

REST DER WELT / GRAZ / DAS BALLHAUS (LE BAL)

17/03/14 Drei Schwingtüren, ein beflissener Kellner. Welche er auch offen hält, das herein tanzende Paar kommt akkurat durch eine der anderen. Das Leben geht eben ein wenig anders im Tanzpalais, aber natürlich ist das Treiben hier nicht losgelöst von der Welt. Die Protagonisten sind Kinder ihrer Zeit und umgekehrt.

Von Reinhard Kriechbaum

152Das Draußen stolpert herein als ein unvermeidlicher Slapstick, manchmal erheiternd, manchmal bedrohlich. Die Moden ändern sich und mit ihnen der Tanzschritt. Was bleibt, ist die unlösbare Verlinkung zwischen realem Leben und Unterhaltung. Oder anders gesagt: Seiner Zeit davon tanzen zu wollen, ist eine zwar reizvolle Aussicht und sie beschert jeder Generation aufs Neue Lebensfreude – aber das Unternehmen ist so Lust spendend wie aussichtslos.

Der ungarische Theatermann Viktor Bodó hat 2008 mit seiner Inszenierung von „Alice“ einen österreichischen Nestroy-Preis für das Grazer Schauspielhaus eingeheimst (und war beim Young Director's Project der Festspiele eingeladen). Seither hält ihm die Schauspieldirektorin Anna Badora die Treue. Mit erheblichem Gewinn für beide Seiten. Jahr um Jahr profitieren ihr Haus, ihr Ensemble von der Zusammenarbeit mit Bodós freiem Budapester „Szputnyik Shipping Company“, und der Regisseur ist längst nicht mehr nur in Graz weltberühmt. Mit Handkes „Die Stunde da wir nichts voneinander wussten“ (der überdimensionierten Regieanweisung) ging's zum Berliner Theatertreffen, und eben dafür gab es in Moskau auch eine „Goldene Maske“ als beste ausländische Produktion 2010. Bodó sucht Stoffe mit offenen Optionen, in denen er seine Fabulierlust ausleben kann.

151Diesmal also „Das Ballhaus“. Wie es dort zugegangen ist in den letzten hundert Jahren, wird quasi archäologisch Schicht um Schicht gehoben. Aus Theater wurde Film, und daraus wird nun wieder Theater. Musik-, Tanztheater logischerweise. „Le Bal“ war 1981 eine nonverbale Produktion der nicht mehr existierenden französischen Banlieue-Compagnie Théâtre du Campagnol. Ettore Scola hat daraus 1982 einen Film gemacht, der für den Auslands-Oscar nominiert wurde.

Viktor Bodó setzt sinnvollerweise auf Österreich-Ungarn, auf die Monarchie, auf Decadence und Auflösungstendenzen. Und dann geht es in assoziativen Sprüngen bis in die Gegenwart. Keine Angst, nicht didaktisch knöchern, da sind Bodó selbst und sein Team vor: eine aufeinander eingeschworene Crew, von den Dramaturginnen Júlia Róbert und Anna Veress über die Bühnenbildnerin Juli Balázs bis zu Bodós Hauskomponisten Klaus von Heydenaber, der diesmal logischerweise kreativ besonders gefordert war.

Diesmal ist noch eine Choreographin dazu gestoßen, Eva Duda, ebenfalls eine Ungarin. Toll, wie es ihr gelingt, das Ensemble in Schwung zu bringen. Angeblich sind nur zwei professionelle Tänzer dabei, die anderen fünfzehn stellen das Grazer Schauspiel und die Szputnyik Shipping Company. Die beiden Profis sind kaum herauszufinden. Wie synchron man da wirbelt, zu einer (vorab aufgenommenen) orchestralen Musik, der Klaus von Heydenaber unter- und mittelschwellig nicht wenig Melancholie mitgegeben hat.

Wie sie immer aufs Neue zu ihren Sitzen stolpern, angeschupst zum Beispiel von einer sich öffnenden Lifttür. Einer fängt den anderen, man bugsiert sich weiter zu anderen Partnern - ein beständiger Wirbel und ein Wunder, wie hundert Minuten lang eine jede und ein jeder in Bruchteilen von Sekunden zur Stelle ist. Das ist brillant. Eine Totentanz? Nein, keine Spur: Ein Tanz nicht tot zu kriegenden Lebens (auch wenn es mal eine Folterszene gibt), in dem die Protagonisten nicht altern, sondern ihre Marotten stets in neuer Jugend ausleben. Oder in gleichem Alter, wie der altväterliche noble Rosenkavalier mit den gediegenen Umgangsformen. Seine Zeit war wohl immer schon vorbei.

150Vielleicht lohnender als das Imaginieren von Geschichten, von Handlung, ist das genaue Beobachten von Charakteren. Die gewandte, zarte Zigarettenverkäuferin mit ihrem Bauchladen wird sich wohl immer irgendwie durchschlagen (auch wen sie einmal an Haaren weggezerrt wird, womöglich ins Separé). Da ist ein junge Blondine, erfolglos bewacht von ihrer Mutter, die Avancen der jüngeren Männerwelt genießt und der die Soldaten einmal übel mitspielen. Ihre Mutter landet nicht so gut bei Männern, eine gewisse Verhärmung versteht man gut.

So könnte man sich also durch-beschreiben, eine um die andere Figur, die alle ein wenig verschroben und doch so sympathisch wirken. In ihren Gesellschafts-Korsetten stecken diese Leute nicht nur in Monarchiezeiten fest. Wer auftritt, geht gerne mal an die Rampe und kontrolliert vor einem imaginären Spiegel sein Outfit, das ist ein running gag. Aber dann kommt ein Musikus mit Hammondorgel auf die Bühne, plagt sich mit dem Hochzeitsmarsch. Der Eiserne Vorhang, vor dem erst jüngst ein Pass gegen Geld seinen Besitzer gewechselt hat, ist gefallen. Die Segnungen neuer Zeiten kommen daher: das erste Fernsehgerät, die Mikrowelle, die Pilzkopffrisuren und damit der Rock'n'Roll.

„Das Ballhaus“, in dessen Geschichte in der ersten Szene ein paar Handwerker mit Taschenlampen und einem Bauplan eingebrochen sind, ist ein Tollhaus bruchstückhaft erinnerter Geschichte. Historische Zitate in Kostüm und Geste, mit deftiger Bühnenfarbe kolorierte Wochenschau-Schnipsel. Die Spiegel im Tanzpalais mögen blind sein, die Erinnerung ist scharfsichtig.

Vorstellungen bis 24. Mai – www.schauspielhaus-graz.com
Bilder: Schauspielhaus Graz / Lupi Spuma

 

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