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Ins TV-Format gepresst

REST DER WELT / WIEN / DIE PERLENFISCHER

24/11/14 Lotte de Beer inszenierte Bizets selten aufgeführte „Les Pêcheurs de Perles“ als Reality-TV-Show mit Diana Damrau, Dimitry Korchak und Nathan Gunn im Theater an der Wien und bringt das Publikum damit zum Jubeln.

Von Oliver Schneider

Zurga lässt sich auf Ceylon, dem heutigen Sri Lanka, zum Anführer des Volks wählen. Plötzlich taucht sein Jugendfreund Nadir dort auf. Ihr beider Schicksal ist auch über die Liebe zur selben Frau verbunden, und ganz zufällig soll diese Frau nun als Priesterin für die Perlenfischer das Meer besänftigen. Sehr glaubwürdig ist das Ganze nicht, was wohl auch den Misserfolg der 1863 uraufgeführten Oper von Georges Bizet begründet. Ganze 18 Vorstellungen gab es damals, in denen das Werk von Anfang an nur in gekürzter Form gespielt wurde.

Führt man das Werk heute auf, stellt sich vor allem das Problem der Fassung, da die Orchesterpartitur verbrannt ist. Zum Glück tauchte aber vor einigen Jahren die Dirigierpartitur von 1863 wieder auf. Bizet selbst hat außerdem 1864 einen Klavierauszug hergestellt. Beides nutzte der australische Dirigent Brad Cohen 2002, um eine kritische Ausgabe zu erstellen, die für Aufführungen in London und später in Zürich herangezogen wurde. Und jetzt auch in Wien, wo Jean-Christophe Spinosi das ORF Radio-Symphonieorchester Wien recht trocken und leider mit wenig Esprit durch die Partitur führt.

Schade, denn das lebendig und sorgsam orchestrierte Werk mit interessanter Harmonik würde einiges Hübsches bieten, wenn es auch sicherlich nicht in die Kategorie einer „Carmen“ zu zählen ist. Dass das Lokalkolorit im Werk nur eine untergeordnete Rolle spielt und mehr einer damals aktuellen Mode geschuldet war, beweist der weitgehende Verzicht Bizets auf Exotismen. Ursprünglich sollte die Oper übrigens ohnehin unter mexikanischen Indianern spielen. Heute kennt man aus der Oper leider nur noch das Freundschaftsduett von Zurga und Nadir und die Romanze Nadirs. Dimitry Korchak musste sich für den Nadir am Samstag (22.11.) erst etwas warm singen und neigte zu Beginn der (dritten) Vorstellung zum Forcieren, bevor er sich im Laufe des Abends frei sang und seine Stimme elegant strömen ließ. Nathan Gunn hingegen konnte von Beginn weg mit seinem runden und weich-timbrierten Bariton überzeugen.

Die niederländische Regisseurin Lotte de Beer gibt mit den „Perlenfischern“ ihr Hausdebüt am Theater an der Wien. Sie lässt den Abend zwar auf Sri Lanka spielen. Dort findet die aktuelle Ausgabe der Reality-Show „Perlenfischer – The Challenge“ statt, moderiert vom Hohepriester (Nicolas Testé). Spielort: am schönen Strand unter Palmen, die erst vom TV-Team platziert werden müssen. Denn: In einer ärmlichen Hütte leben dort Menschen, deren Heim erst weichen muss, damit die Zuschauer am Bildschirm ihren TV-Spass haben und mit dem Handy abstimmen können. In dem Fall über Tod oder Leben von Leila und Nadir, weil sie gegen die strengen Regeln des Inselvolks verstoßen und sich ihre wieder aufgekeimte Liebe gestanden haben. Die Zuschauer am Bildschirm im Bühnenhintergrund, das sind wir. Von Jung bis Alt, in der gediegenen Wohnstube, in der Studenten-WG oder sonstwo (Bühnenbild: Marouschka Levy). Der Arnold Schoenberg Chor bewältigt diese Aufgabe mit großer Spielfreude.

Eine Umfrage auf dem Naschmarkt eingeblendet vor dem dritten Akt zeigt die Meinung der Zuschauer. Wer sich dem Sendungsformat stellt und mitmacht, muss auch das bittere Ende in Kauf nehmen: 91 Prozent wollen den Tod von Leila und Nadir. De Beer hält uns damit den Spiegel vor, und bitterböser könnte ihre Aussage nicht sein.

Wenn sich Leila und Nadir im zweiten Akt ihre Liebe im kitschigen Tempel gestehen, scheint die Regisseurin das Konzept zu durchbrechen. Denn hier spielen Korchak und die hinreißende Diana Damrau nicht mehr die TV-Show, sondern zeigen sich als Menschen, die vergessen haben, dass ihnen Millionen Menschen vor dem Bildschirm zuschauen.

Der eifersüchtige Zurga, der den Tod des Paars zunächst auch will, erinnert sich, dass Leila ihm einst das Leben gerettet hat; auch dies wird wie die Umfrage als Video eingeblendet (Finn Ross). Er befreit die beiden vom Scheiterhaufen und stellt sich selbst der wütenden Masse, die aus den Wohnzimmern ins Livestudio strömt und Zurga auf dem Scheiterhaufen dem Tod überantwortet. Dazu zünden sie wie am Popokonzert ihre Feuerzeuge an, und sie zücken ihre Handys, um den grausamen Moment fotografisch festzuhalten.

„Les Pêcheurs de Perles“ ist kein Meisterwerk, aber Lotte de Beer hat eine Möglichkeit gefunden, wie man es für heute zurückgewinnen kann.

Weitere Vorstellungen am 25., 28. und 30. November – hh . Karten: www.theater-wien.at
Bilder: Theater an der Wien / Werner Kmetitsch

 

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