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Freude ist eine feministische Strategie des Widerstands

SOMMERSZENE / ERÖFFNUNG

05/06/18 Die Sexualisierung der Gesellschaft, die Macht ihrer Bilder, Normen und Maßstäbe, die bis ins tief Private reichen, ist seit Jahren zentrales Thema im Werk von Mette Ingvartsen. Sie eröffnet heute Dienstag (5.6) die Sommerszene. – Hier im Auszug ein Gespräch zwischen Dramaturgen Tom Engels und der dänischen Choreographin Mette Ingvartsen.

Tom Engels: 21 pornographies (2017) und to come (extended) (2017) sind Teil einer Serie mit dem Titel The Red Pieces. Wofür steht diese Serie und welcher rote Faden verbindet sie?
Mette Ingvartsen: Die Serie begann mit den Choreographien „69 positions“ im Jahr 2014 und „7 Pleasures“ im Jahr 2015, in denen es um die Geschichte der Sexualität geht und wie der nackte Körper in Performancekunst und Choreographie Einzug hält. Etwa die sexuelle Befreiungsbewegung der 1960er, in der Nacktheit oft als Werkzeug benutzt wurde, um gegen Krieg, Kapitalismus und Atomkraft, aber auch gegen verkrustete Gesellschaftsstrukturen zu protestieren. Ich versuche grundsätzlich zu verstehen, welches Verhältnis wir heute zur Sexualität haben – in einer Zeit, in der Lust und Begehren durch kommerzielle Ökonomien kooptiert werden und die Grenzen zwischen privatem und öffentlichem Raum verschwommener sind als je zuvor.

Tom Engels: Die beiden Stücke, die du nun zeigst, fallen durch ihren Kontrast auf. Nicht nur in ihren Ausmaßen (eine Einzelne- gegen eine Gruppenchoreographie mit 15 Tänzerinnen und Tänzern), sondern auch in den von ihnen vermittelten Stimmungen und Weltbildern wirken sie wie Gegensätze.
Mette Ingvartsen: Es war sehr wichtig für mich, diese beiden Aufführungen zeitlich parallel zu entwickeln und im Laufe eines Jahres buchstäblich von der einen zur anderen Seite zu springen. ... In 21 pornographies tauche ich ein in die dunkle Seite, wenn Sexualität und Macht aufeinandertreffen. Das Stück handelt nicht direkt von Pornographie, wie wir sie aus der flächendeckenden Online-Verbreitung kennen, sondern wir betrachten sie Geschichte pornographischer Darstellungen in Kunst und Kultur insgesamt. Ich glaube, die dunkle Stimmung der Aufführung entspricht der Zeit, in der wir uns gerade befinden und die im sozio-politischen Klima zu Ausdruck kommt. Das Stück untersucht was geschieht, wenn wir uns in aller Offenheit Dinge ansehen, die uns zusetzen und die brutal und grausam sind. Bei to come (extended) versuchen wir eher, Auswege aus solchen bedrückenden Umständen, beziehungsweise andere Wege der Lebenspraxis zu finden.
Da Sexualität auch Raum für Experimente und freudvolles Dasein ist, versuchen wir, sie uns als ein Weg vorzustellen, der Machtbeziehungen durchbricht und uns außerhalb repressiver Beziehungen neu aufzustellen. Ich betrachte Freude als eine feministische Strategie des Widerstands gegen repressive Machtstrukturen, die das Solo ausdrücklicher anspricht.

Tom Engels: Du wählst das Theater als Raum für eine Auseinandersetzung mit Sexualität, Pornographie und Macht. Was gab den Ausschlag, diese Themen in einem öffentlichen Zusammenhang neu zu denken?
Mette Ingvartsen: Heute hat Pornographie, zumindest in ihrer verbreitetsten Erscheinungs- und Nutzungsform, eine isolierende Wirkung. Das Masturbatorische ist ein einsamer Vorgang. Für mich richtet sich diese Haltung des „Selbermachens“ gegen das Soziale. Dass die von den Performances angeschnittenen Fragen in einen gemeinschaftlichen Raum transportiert werden, hebt sie aus der Isolation, in der Pornographie und Sexualität alleine erlebt werden. Heute ist die Bildschirmschnittstelle zur vorherrschenden Quelle für den Empfang sexueller Bilder geworden. Das aber hat sehr wenig zu tun mit dem Erlebnis, zusammenzusitzen und es gemeinsam mit anderen anzuschauen. Das biete ich im Theater an und suche mit aller Kraft die öffentliche Reflexion.

 Lesen Sie hier das Original-Interview in englischer Sprache – Die Sommerszene wird heute Dienstag (5.6.) eröffnet und dauert bis 16. Juni - www.szene-salzburg.net
Bild: www.metteingvartsen.net / Danny Willems 

 

 

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