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Pumpen, bis die Pumpe schlappmacht

SOMMERSZENE / BLACK MARROW

27/06/16 Erna Ómarsdóttir, Damien Jalet und die Iceland Dance Company lassen das Sommerszene-Publikum in einen archaischen Albtraum abtauchen. Ihr „Black Marrow“ ist ein tiefschwarzer Tanz-Tripp, der dezibelstark direkt ins Mark trifft.

Von Christoph Pichler

Die Bühne des republic ist schon vor Vorstellungsbeginn in dichten Nebel gehüllt. Wenn dann endlich die Saallichter ausgehen, wird es richtig unangenehm. Ein langsam schwellendes Rauschen und Dröhnen schraubt sich in die Gehörgänge, während vereinzelte Bass-Bomben tief in der Magengrube einschlagen. Auf der vermeintlich leeren Bühne werden nun doch Bewegungen erkennbar. Was zuvor wie an den Bühnenrand geworfene Müllsäcke wirkte, erwacht allmählich zum Leben.

Während sich die schwarze Folie zu immer bizarreren Form türmt und bauscht und schließlich der gesamte Bühnenboden unterwandert wird, gewinnt die chaotischen Klangkulisse weiter an Komplexität und Intensität – bis plötzlich ein einsames Wesen aus dem dunklen Untergrund bricht. Mit zuckenden Schulterblättern hockt es da. Etwas verzehrend, verschlingend oder zerfetzend. Ein wildes Tier, sicher kein Mensch. Zumindest noch nicht oder nicht mehr. Weitere dieser seltsamen Gestalten füllen langsam die Bühne. Allesamt kopflos, ineinander verschlungen oder sich aneinander reibend, miteinander ringend, sich paarend und wieder trennend.

Schließlich scheint die Energie aufgebraucht. Statt drohendem Dröhnen sind nur mehr zittrige Saitenklänge und das schwere Atmen der ausgepumpten Körper zu vernehmen. Da hebt sich ein erster Kopf aus der bebenden Fleischmasse. Und es sind keine Fratzen, die sich da eine nach dem anderen dem Publikum zuwenden, sondern verführerische Gesichter, die sogar sprechen können. „Do you want to try try it – to taste it – the taste of freedom – of happiness“, werben die sich lasziv windenden Gestalten für die ultimative „Satisfaction“.

Dass die verlockenden Angebote durchaus vergiftet sein dürften, ist schnell klar, kippen doch die Stimmen immer wieder ins dämonisch Verzerrte ab. Ohnehin hält die erotisch aufgeladene Stimmung nur kurz an. Harte Rhythmen übernehmen wieder das Kommando, nun ist allgemeiner „Workout“ angesagt. So rackernd sich die acht Körper fortan so richtig ab. Ob als Teil einer großen Maschine, in versauter Zweisamkeit oder beim Aufpumpen des eigenen Körpers, es wird fleißig und unermüdlich gearbeitet, gearbeitet, gearbeitet. Und schließlich geht es zum Auspumpen in die Disco, in der die letzten Kräfte aus dem Körper geschüttelt werden, bis die Pumpe schlappmacht und das Piepen des EKG den finalen Rhythmus vorgibt.

Nicht nur aufgrund der körperlich spürbaren Klangkulisse aus dem Soundlabor von Ben Frost ist „Black Marrow“ ein immer wieder auf und in den Magen schlagendes Erlebnis. Wie sich aus der schwarzen Masse die seltsamen Wesen entwickeln, die Dantes Inferno oder Höllenbildern von Bosch entsprungen sein könnten. Wie sich die kopflosen Schreckensgestalten erst zu verführerischen, dann zu verführten Menschen entwickeln. Wie sich die Stimmung immer wieder verzerrt und verändert und neue Assoziationen weckt. Das alles ist faszinierend bis zum Epilog in der Öllacke, in der das „schwarze Mark“ schließlich alle Tänzer ein letztes Mal gründlich besudelt. Ómarsdóttir und Jalet lassen uns an einem Ritual teilhaben, an einem kultischen Exzess aus ebenso verführerischen wie verstörenden Bildern, die sich tief ins Unterbewusstsein eingraben dürften, sofern sie da nicht ohnehin schon längst vergraben sind.

Bilder: Szene Salzburg / Bjarni Grimsson

 

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