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… und sage ihnen die Uhrzeit

HINTERGRUND / JOHN CAGE / MUSICIRCUS

20/07/11 Die Regie "tritt in den Hintergrund zugunsten einer praktischen Organisation des Chaos", so Hubert Lepka, der Theater-Grenzgänger. Am kommenden Sonntag (24.7.) wird er im Rahmen des "Fests zur Festspieleröffnung" den "Musicircus" von John Cage realisieren. Eine österreichische Erstaufführung - und wahrscheinlich die an Akteuren gewaltigste bisher überhaupt.

Von Reinhard Kriechbaum

Was da alles zeitgleich über-, unter-, neben- und durcheinander klingen wird auf den Plätzen rund um den Dom und im Festspielbezirk, davon kann man sich schon vorab auf der Website von "Lawine torrèn" ein imaginäres Hörbild machen: Es sind ja viele Leute - Amateure und Profi-Musiker - eingeladen, mitzumachen, denn es geht in dem Stück von John Cage um akustische Basisdemokratie. „Lade eine bestimmte Zahl von Musikern ein, und sage ihnen die Uhrzeit.“

Das war's auch schon, was John Cage in seine "Partitur" geschrieben hat. Alles, was tönt, soll gleich viel wert sein: „Eine Kuh, die einem Bauern in Leogang gehört, und ihr Muh beiträgt, hat die gleiche Wertigkeit, wie eine Arie von Anna Netrebko.“ So formulierte es vor ein paar Monaten Festspiel-Intendant Markus Hinterhäuser, der die Idee zu dieser Riesen-Musikperformance hatte.

Nun - die Kuh aus Leogang scheint noch auf sich warten zu lassen, dafür ist das Rollkoffer Ensemble Moosdorf schon dabei, eben diese zu packen und anrollen zu lassen. "The Helmut Bergers Acustic Session" und "The More and the Less" brauchen nicht Koffer packen, weil das sind ohnedies junge Salzburger Bands. Wie das wohl sein wird, wenn sie mit den Pongauer Almhörnern oder dem Salzburger Bachchor die akustische Klinge kreuzen? Oder mit den Metalltöpfen vom "Planeten Klangschalen Zentrum"? Fast fürchtet man da, dass der Drehorgel-Kabarettist Franz Schwentner auf der Strecke bleiben könnte. Immerhin sind auch die Türme des Doms und der Franziskanerkirche unter den musikalischen Akteuren aufgelistet, die akustische Lufthoheit werden sie sich nicht so leicht nehmen lassen.

In Bodennähe unterwegs: Die Sinfonietta da camera, Ensembles vom Musikum, das Vokalensemble EinKlang, die Sängergruppen "Tabula rasa", "Mambo Wada" und der "heartchoir Salzburg". "Frühstückl" wirkt hoffentlich auch am Sonntag Nachmittag - es ist ein Geräuschorchester mit Tanzperformance. Aber das ist jetzt wirklich nur eine Mini-Auswahl, denn es haben sich zur Stunde schon 66 Gruppen, Ensembles und Solisten angemeldet, wie Cornelia Anhaus berichtet, bei der man sich nach wie vor anmelden kann - aber man kann natürlich auch einfach so kommen, Musik, Geräusch, ja: sogar Lärm machen. Allein dreißig Rollkoffer-Rumpler haben sich schon angekündigt. Zu den bisher rund fünfhundert avisierten Teilnehmern könnten als schon noch ein paar Hundert kommen. "Auch eine Frage des Wetters", sagt Cornelia Anhaus.

Hubert Lepka, der Theater-Maschinist, Massenbändiger, Aufstöberer ungewöhnlicher Spielflächen, hat jedenfalls seit Wochen genug zu tun mit Tüftlerei und imaginärer Chaos-Organisation. "Jede Art von klang-erzeugendem Mitspieler ist willkommen" für das flashmob-artige Happening. "Organisieren" wolle er das Chaos nicht, so Hubert Lepka. "Unsere Aufgabe ist, Leute zum Mitmachen zu animieren und praktische Hilfe und Tipps anzubieten." Wie könnten sich die Menschenmassen in der Altstadt bewegen? "Vom Universitätsplatz bis zum Residenzplatz ist Platz für tausend Musiken und nocheinmal so viele Geräusche. Aus offenen Fenstern und Toren mischt sich der Sound der Innenräume mit dem Außen."

1967 hat sich John Cage den "Musicircus" ausgedacht, die bevorstehende Salzburger Aufführung soll die am üppigsten besetzte bisher werden. Die "Originalpartitur" befindet sich in der New York Public Library, es ist eine Einladung an ausgewählte Musiker in einen Pavillon der University of Illinois, datiert mit 17. November 1967. Aufführungspraktiker würden also in dem Fall auf den Stock-Pavillon eben dort, zumindest auf die Neue Welt, als Aufführungsort dringen.

Hubert Lepka über die "Generalprobe" vor gut zwei Monaten: "Der Entstehungszusammenhang der Idee im gedanklichen Bezirk von Happening, Unbestimmtheit und der Forderung nach Gleichberechtigung von Geräusch und Stille weist sie zwar als geschichtlich aus, in der historischen Altstadt von Salzburg wirkt sie dennoch unerhört." Der Pilotversuch am Karsamstag habe anschaulich gemacht, wie einladend das Konzept nach wie vor ist: "Hunderte Hörlustige versammelten sich in der Churfürststraße rund um fünf kleine Ensembles und Solisten, die diesen begrenzten Stadtraum zusammen mit Rollkoffern, Taxis, Sirenen und einer zufälligen Müllabfuhr akustisch bevölkerten."

Und wer sich inmitten des akustischen Wellenschlags als intellektueller Fels in der Berandung ausweisen will, sollte für seine Salzburger Altstadtpromenade am Sonntag gleich mal Hubert Lepkas wohlgesetzte Sätze zur Sache auswendig lernen: "Das Vorhaben erfordert eine reziproke Inszenierung, die Ordnung zielt auf die Unordnung, die Organisation des Nicht-Organisierten. Die Choreographie des Chaos. Chaotische Choreographien und Scores rufen Algorithmen zuhilfe, die poetische Verdichtungen schaffen, schauen der Natur in den Kochtopf. Die Bestimmung geringstmöglicher, ökonomischer Ausgangsbedingungen anstatt des Verlaufes oder gar des Ziels führt zu einer Poesie der Unleserlichkeit.”

Fest zur Festspieleröffnung: Samstag (23.7.) ab 16 Uhr (Fackeltanz ab 22.30 Uhr), Sonntag (24.7.) nachmittags und abends.
Die Performance "Musicircus" findet am Sonntag (24.7.) ab 16 Uhr statt. - Anmeldungen: musicircus.torren.at
Das Programm zum Fest zur Festspieleröffnung zum Download: www.salzburgerfestspiele.at
Bilder: Lawine Torrèn / Magdalena Lepka
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