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Unschuld vom Lande im schmutzigen London

REST DER WELT / WIEN / A HARLOT’S PROGRESS

15/10/13 Die Uraufführung von „A Harlot’s Progress“ im Theater an der Wien wurde zum Publikumserfolg. Jubel für den Komponisten Iain Bell und alle an der Produktion Beteiligten, vor allem Diana Damrau.

Von Oliver Schneider

059Ein solcher Jubel zeigt, dass sich auch mit zeitgenössischer Musik die Opernhäuser füllen lassen. Mag sein, dass am Sonntagabend (13.10.) in Wien auch der Name von Diana Damrau in der Titelpartie eine Rolle gespielt hat, für deren Stimme der englische Komponist Iain Bell die Hauptpartie der Moll Hackabout komponiert hat.

Die wenigen Buhrufer haben sich vielleicht daran gestört, dass Bells Musik zum Teil langatmig wirkt und auch einige Hänger im zweiten Teil besitzt. Das lässt sich nicht leugnen, vor allem wirkt sie weniger intellektuell und anspruchsvoll als anderes Zeitgenössische, das man auf dem Kontinent hört.

Bells Musik holt stattdessen den „Neuling“ ab, fordert ihn nicht nur mit dem Überschreiten tonaler Grenzen heraus, sondern bietet bewusst mit dem immer wieder Zurückkehren ins Tonal-Harmonische eine gute Zugänglichkeit. Leitmotive erleichtern das Sich-Zurechtfinden. Diese stehen für den Handlungsort, den Sündenpfuhl London, Molls ländliche Heimat Yorkshire und ihr reines Wesen, das immer mehr im Londoner Sumpf verdirbt. Simpel ist es, das nächtliche London mit dunklen Klängen und dem gesamten mittelgrossen Orchester zu charakterisieren. London ist aber zusätzlich durch ein eigenes viertöniges, disharmonisches Leitmotiv ohne Auflösung charakterisiert, welches das rund zweistündige Werk von Anfang an begleitet. Den hellen Tag und Molls reines Wesen wiederum assoziiert Bell mit hohen, glockenhaften Akkorden. Yorkshire, der Heimat Mollys, ordnet er die hohen Streicher- und Bläserklängen zu.

060Das auf dem gleichnamigen Bilderzyklus von William Hogarth und wahren Ereignissen beruhende Libretto verfasste Peter Ackroyd. Der Titel parodiert ein zu Hogarths Zeiten berühmtes Erbauungsbuch von John Bunyan, „The Pilgrim’s Progress“ aus dem Jahr 1678, worin der Christenmensch allegorisch nach Gott sucht. Hogarths Bilderzyklen – Igor Strawinsky vertonte seinen späteren Zyklus „A Rake’s Progress“ – sind nicht nur klar und deutlich in ihrer Aussage, was Ackroyd in seinem Libretto in Sprache ummünzt, sondern vor allem auch sozialkritisch. Ihre Allgemeingültigkeit haben sie auch heute nicht verloren.

Geschildert wird die Geschichte einer Kombination aus Londoner Manon und Lulu, die bei ihrer Ankunft in der Metropole anstatt auf ihre Cousine zu treffen, an eine alte Kupplerin gerät. Diese verkauft ihre sexuelle Unschuld gleich dem Erstbesten, wohlhabenden Liebhaber. Doch Moll Hackabout will ihr Glück machen, und darunter versteht sie, ein luxuriöses Leben zu führen. Deswegen findet sie sich rasch mit ihrem Schicksal als Prostituierter und dem damit verbundenen sozialen Abstieg ab.

061Die Wiener Uraufführungsproduktion lassen  Jens-Daniel Herzog und sein Ausstattungsteam (Bühne: Mathis Neidhart, Kostüme: Sibylle Gädeke) in einem weißen Raum spielen, der mal das elegante Schlafzimmer Molls im Hause von St. John Lovelace, ihrem ersten Liebhaber, mal ihre ärmliche Wohnung nach dem Abstieg zur Straßendirne oder das Gefängnis darstellt. Die unterschiedliche Stilepochen, die sich an den Kostüme ablesen lassen, stehen wie der zeitlich nur vage lokalisierte Raum für die Allgemeingültigkeit der Aussage. Bemängeln kann man am Werk, dass das Ende schon nach einer Viertelstunde voraussehbar ist, zumal Herzog zusätzlich von Anfang an „schwarzen Schnee“ auf die Bühne rieseln lässt. Molls gesellschaftliches Absinken lässt sich nicht stoppen. Immerhin gibt es immer wieder retardierende Momente, die einen Wandel der Charaktere – nicht nur Molls – und ihrer Schicksale erhoffen lassen. Sie glaubt bis zu ihrem Tod als Wahnsinnige und an Syphilis Erkrankte an das Gute im Menschen und will von ihrer Liebe zum Gangster James Dalton nicht ablassen. Dass er nur ein gemeiner Zuhälter ist, blendet sie aus.

Neben den verwendeten, wenigen szenischen Symbolen hat Herzog eine Inszenierung geschaffen, in der menschliche Prototypen deutlich gezeichnet werden. Allen voran natürlich Moll Hackabout interpretiert von Diana Damrau, deren augenblickliche stimmliche Entwicklung genau mit den Anforderungen der Partie korrespondiert. Vor allem im zweiten Teil des Abends als Schwangere im Gefängnis und im Fieberwahn Delierende gelingt ihr ein berührendes Porträt einer Frau, die zwar nicht unschuldig an ihrem Schicksal ist, jedoch bis zum Schluss versucht, vom falschen Weg gemeinsam mit dem unwürdigen Geliebten abzukommen. Dieser geliebte Gangster James Dalton wird von Nathan Gunn geben, dem die hohe Lage der Tessitura ebenso auf die Kehle komponiert ist. Christopher Gilletts alter Lüstling St. John Lovelace zeigt auch väterlich-beschützende Züge, Marie McLaughlin ist eine mal mit falscher Menschenliebe einlullende, mal eiskalt berechnende Kupplerin Mother Needham. Tara Erraught als Kitty entwickelt sich von der Aufpasserin zur wohlwollenden Freundin von Moll und überzeugt stimmlich genau wie alle anderen Protagonisten.

Mikko Franck hat die ausdrucksvoll musizierenden Wiener Symphoniker in spätromantischer Besetzung und das Geschehen auf der Bühne souverän im Griff. Der Arnold Schoenberg Chor (Einstudierung: Erwin Ortner) schließlich punktet nicht nur gesanglich, sondern ist auch bewegungstechnisch gefordert (Choreografie: Ramses Sigl).

Weitere Vorstellungen bis 27. Oktober. Der ORF überträgt die Produktion am 16. November um 19.30 Uhr im Programm Ö1. Ausserdem wird die Vorstellung am 27. Oktober auch als Livestream im Internet übertragen. - www.theater-wien.at
Bilder: Theater an der Wien / Werner Kmetitsch / www.photowerk.at

 

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